Austauschtreffen mit bundesweiten Initiativen und Einzelkünstlerinnen
Zu unserem ersten bundesweiten Austausch- und Vernetzungstreffen zum Thema Tanz/Kunst und Elternschaft am 9.07.2022 im Artist Lab Projekt “Mit Kind: Tanzkünstlerinnen zwischen Beruf und Abstellgleis” haben wir Gastkünstlerinnen aus der Tanzszene eingeladen, die selbst ähnliche Initiativen gegründet haben, in diesen mitwirken und Einzelkünstlerinnen, die thematisch v.a. während der Pandemie inhaltlich künstlerisch zu dem Thema aktiv gearbeitet oder recherchiert haben. Bei unserer Recherche nach solchen Initiativen im Netz sind wir nicht in allen Bundesländern fündig geworden.
Wir haben uns über Strategien ausgetauscht, die Künstlerinnen gefunden haben, um während der Pandemie bei geschlossenem Theaterbetrieb, geschlossenen Schulen und Kitas, dem Wegfall der Kinderbetreuung bei gleichzeitigem “Cut” des sonstigen Berufsalltags, als Tanzschaffende weiterzuarbeiten. Wir haben danach gefragt, welche Bedürfnisse und Wünsche sich daraus für eine postpandemische Zukunft ergeben: Wie sollen/können Tanzlandschaft-Strukturen, Förderungen, Theater, Spiel-, Ausbildungs- und Residenzortedie Bedingungen von tanzschaffenden Eltern miteinbeziehen? Was brauchen wir?
Positive und negative Aspekte des künstlerischen Arbeitens während der Pandemie wurden benannt. Durch das Umstellen auf Online Formate wurde ermöglicht, online im Kontakt zu bleiben, sich zu vernetzen und auszutauschen. Gleichzeitig waren Online Formate begrenzt und haben die Vereinzelung stärker spürbar werden lassen. Die künstlerische Praxis als Tanzschaffende hat viele von den beteiligten Künstlerinnen darin unterstützt, Wege zu finden, mit der Ausnahmesituation während der Pandemie, mit Unterbrechungen und stetigen Änderungen umzugehen. Als positiv wurde beispielsweise benannt, dass die Pandemie den Moment der Reflektion eingeladen hat und durch formatoffene Förderungen (in NEUSTART KULTUR) andere Arbeitsweisen und -prozesse ermöglicht wurden, in denen sich Sorgearbeit, Familienalltag und künstlerisches Schaffen besser vereinbaren ließen. Manche haben sich Zeit genommen, ihre Arbeitsweise und ihre Projekte zu hinterfragen und neu aufzustellen, während andere mit der Gleichzeitigkeit von Homeoffice, Homeschooling komplett ausgelastet waren. Letzteres kam als Rückmeldung insbesondere von alleinerziehenden Tanzschaffenden. Ein großes Thema waren die als unzureichend empfundenen Sicherungssysteme (Arbeitslosenversicherung, Altersvorsorge) für freischaffende Tänzer*innen/Künstler*innen.
Als better practice wurden z.B. die Systeme in Frankreich und Belgien hervorgehoben, die insbesondere in den weit verbreiteten unständigen Beschäftigungszeiten die Künstler*innen besser auffangen.
Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Schwangerschaft oder Mutterschaft verbinden unsere unterschiedlichen Künstlerinnen-Biographien, beispielsweise wird beim Offenlegen der eigenen Schwangerschaft der Vertrag nicht verlängert, das Masterstudium wird als nicht vereinbar positioniert, der In-Aussicht-gestellte Vertrag für die nächste Spielzeit am Theater kommt nicht zustande, Das Ende der “Karriere” bei Schwangerschaft wird noch immer im Umfeld der darstellenden Künste und des Tanzes auf vielen Ebenen, an vielen Orten als selbstverständlich formuliert, ausgesprochen, gedacht und fortgeschrieben.
Während des Labs wurden auch Positivbeispiele von Choreograf*innen genannt, die beispielsweise Kita- und Schulzeiten in ihren Probenplänen berücksichtigen, die Rollen, Probenabläufe und Choreografien auf die körperlichen Bedürfnisse einer schwangeren Tänzerin adaptieren wie auch eine Honoraranpassung an gestiegene Lebenshaltungskosten und Arbeitsaufwand (Stichwort Babysitter, Altersvorsorge) vornehmen. Im Austausch kamen ausführliche Informationen zu den Möglichkeiten einer bezahlten Kinderbetreuung in Randzeiten, außerhalb der “üblichen” Kita-Öffnungszeiten, zusammen. Denn das Dilemma, zu arbeiten, wenn andere frei haben und mit der eigenen Arbeit nur noch die*den Babysitter*in bezahlen zu können, aber dann nichts mehr übrig zu haben, war allen als frustrierende Erfahrung bekannt. In der Erfahrung einer Lab-Teilnehmerin hatte es ein halbes Jahr an Behördenbürokratie gebraucht, um eine regelmäßige Kinderbetreuung bspw. für Vorstellungs-/Aufführungsabende im eigenen Haushalt zu engagieren und als zustehende Leistung abzurechnen. Zudem sind in den einzelnen Bundesländern die Vorgaben für die fachliche Qualifizierung einer Betreuungsperson unterschiedlich geregelt, bei dem vorherrschenden Personalmangel in dem Bereich eine weitere Hürde.
Das formatoffenere Arbeiten durch weniger ergebnis- und Aufführungs-orientierte und stärker prozessorientierte Förderungen wurde als positiv bewertet, auch hinsichtlich weniger Abhängigkeit von Spielorten/ Spielstättenbescheinigungen, mehr Selbstverantwortung in der Auswahl von Zeitabläufen, Räumen, Arbeitsprozessen. Mittels Tanz draussen zu arbeiten wurde sowohl positiv empfunden (“neue Räume und Gegebenheiten”) als auch als einschränkend (“Bewegungsmaterial beschränkt sich oftmals auf Gehen, Sitzen, Liegen, aufgrund bestehender Bodenbeschaffenheit bspw.).
Ein wichtiges Anliegen, welches immer wieder aufkam, ist das Mitdenken von Kindern an allen (Tanz)orten, inklusive Ausbildungs-, Theater-, Proben-,Residenzorten, der Wunsch, dass Kinder an diesen Orten mit teilhaben können und diese auch inspirieren können. Von einer Selbstverständlichkeit, dass Kinder unterschiedlichen Alters dort einen Platz, Raum und (Spiel-)angebote haben, sind wir weit entfernt. Viele haben von Erlebnissen berichtet, in denen Kinder nicht willkommen waren, nicht mitgedacht wurden, weder räumlich noch von den Abläufen her.
Die Möglichkeit, während der Pandemie solistisch zu arbeiten, wurde als gut hervorgehoben, nach einer ersten Phase, wurde aber klar, dass Tanz unbedingt ein gemeinsames Erleben von Bewegung im Raum und Körperkontakt braucht. Die Erfahrung, Tanz nicht gemeinsam teilen zu können, als Möglichkeit einer Verbindung zum eigenen Körper, zu Anderen und mit der Umgebung, wurde als großer Verlust empfunden.
Wie hat unsere Rolle als Tanzschaffende unsere Rolle als Fürsorgende beeinflusst und vice versa? Punkte die im Lab benannt wurden, waren z.B.: Die Rolle als Fürsorgende hat sich teilweise mit der eigenen künstlerischen Praxis verwoben z.B. durch das Einbeziehen der Kinderperspektive in die choreografische Praxis, oder auch das “Fürsorgen” für Kolleg*innen im Probenprozess, nicht zuletzt kam auch die starke Strukturiertheit zur Sprache, die sich mit Kindern und beruflicher Selbständigkeit einstellt. Es wurde benannt, wie sehr das Wahrnehmen, Zuhören, Verbinden und Vernetzen, welches wir aus der eigenen Tanzpraxis mitbringen, uns unterstützt hat, die während der Pandemie oft noch komplexeren familiären Situationen und Berufsbedingungen zu händeln.
Einige haben sich in geförderten Recherchen mit den Besonderheiten des Mutterseins als Tänzerin auseinandergesetzt, z.B. zu gesundheitlichen Aspekten nach Schwangerschaft und Geburt, zur gesellschaftlichen Wahrnehmung und Zuschreibung der “Mutterrolle” u.a.
Im Lab wurde die Notwendigkeit deutlich, wichtige Informationen zum Thema, u.a. auch hinsichtlich rechtlichen Ansprüchen, beispielsweise auf Kinderbetreuung in Randzeiten, zu sammeln und zu verbreiten und Informationen gebündelt auf Informationsseiten zu bringen. Der Wunsch für eine Beratungsstelle für tanzschaffende werdende Fürsorgende wurde geäußert. Viele weitere offene Punkte sollen in kommenden Austausch- und Vernetzungstreffen weiter aufgegriffen und bearbeitet werden und die öffentliche Sichtbarkeit für das Thema gemeinsam vorangebracht werden. Der Bedarf an Vernetzung und Information zum Thema ist riesengroß.
Eingeladene Künstlerinnen:
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- Juliane Bauer – Tanznetz Dresden https://tanznetzdresden.de/
- Katja Erfurth – Villa Wigman https://villawigman.de/
- Anna von Haebeler – Working Moms https://workingmoms.de/
- Patscharaporn Krüger-Distakul – https://re-dance.work/about/
- Judith Nagel – https://exisdance.de/dis-tanz-solo/die-ambiguitaet-des-schweigens-judith-nagel/
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Eingeladene Künstlerinnen online beteiligt (Interviews):
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- Daniela Lehmann – Tanznetz Dresden https://tanznetzdresden.de/staff-member/daniela-lehmann/
- Nora Elberfeld explore dance, Tanzpakt Stadt Land Bund https://explore-dance.de/nora-elberfeld/
- Mirjam Rauch https://www.mirjamrauch.com/
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Beteiligte Künstlerinnen der AG Tanz und Elternschaft:
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- Jenny Haack https://www.jennyhaack.de
- Anja Kolmanics http://anja-kolmanics.blogspot.com/
- Heike Kuhlmann http://www.heikekuhlmann.net/
- Saskia Oitmann https://www.saskiaoidtmann.de/
- Jasna Vinovrski https://www.jasnavinovrski.com/
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